Auf der folgenden Seite finden Sie Geschichten aus meiner Praxis, die Ihnen die vielfältigen Wirkungskreise der tiergestützten Pädagogik und systemischen Beratung näher bringen sollen. Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen! (Aus datenschutzrechtlichen Gründen sind alle Namen und Wiedererkennungsmerkmale abgeändert!)

 

Nur Mut

Timo, ein Grundschüler, stehe sich oft selbst im Weg, wenn es um neue Erfahrungen gehe. Er weigere sich, Neues auszuprobieren und der häusliche Frieden sei dadurch oft gestört. So beschrieben mir Timos Eltern ihn, als sie Kontakt zu mir aufnahmen. Timo selbst wünschte sich, dass er mutiger wird. Außerdem hatte er oft das Gefühl, nicht gehört zu werden, so schilderte er es mir in unserem ersten Termin.

Zu Beginn unserer Arbeit begleitete mich mein Labrador Bolle. Neben unserer intensiven Ressourcenarbeit, stellte ich Timo immer wieder vor neue Herausforderungen, die er mit Bolle meisterte. Ein Höhepunkt unserer anfänglichen Arbeit war eine Übung namens „Mutprobe“. Wie der Name schon sagt, erfordert diese Übung eine ordentliche Portion Mut. Timos Aufgabe bestand darin, sich flach auf den Rücken zu legen. Sein Vater verteilte Futter für Bolle auf vorher festgelegte Körperpartien von Timo. Auf Timos Kommando hin fraß Bolle das Futter von Timos Körper, während er ganz stillhielt. Den Stolz, den Timo für seinen Mut und Timos Vater für seinen Sohn empfand, war in dem Moment spürbar.

In den Folgeterminen mit Timo begleitete mich mein Kurzhaarcollie Yoda. Timo sollte die Möglichkeit bekommen, sich immer wieder in neuen Situationen zu erproben. Als er mir von einer Situation außerhalb unserer Arbeit erzählte, in der es ihm gelungen war, über seinen Schatten zu springen und mutig zu sein, war ich neugierig, wie es ihm gelungen ist. Timo erzählte mir von Schatzkisten in seinem Bauch, die seinen Mut sicher aufbewahren. Kleine Helfer, die den Schlüssel für die Schatzkisten haben, würden ihm den Mut bringen, wenn er ihn braucht. Das Problem sei nur, dass einige Schatzkisten leer seien und die kleinen Helfer nicht immer auf ihn hören würden.

Diese wunderbare Vorstellung machten wir uns für unsere weitere Arbeit zu Nutze. Das erste Ziel bestand darin, alle Schatzkisten prall mit Mut zu befüllen. Yoda wurde zum offiziellen „Muteinsammler“ auserkoren und wir verbrachten einige Zeit damit, mit vielen unterschiedlichen Übungen und Spielen, symbolisch Mut für die Schatzkisten zu sammeln. Nach mehrmaliger Überprüfung waren alle Schatzkisten prall gefüllt und das erste Ziel erreicht. Dies zeigte nach und nach immer mehr positive Auswirkungen in anderen Lebensbereichen von Timo, wie mir seine Eltern berichteten.

Der letzte Schritt bestand nun darin, ein Kommando für seine kleinen Helfer zu entwickeln, damit diese verlässlich die Schatzkisten öffnen, wenn Timo mutig sein möchte. Wir entwickelten gemeinsam einen Satz als Kommando und ich war neugierig, wie schnell seine kleinen Helfer die Schatzkisten öffnen können. Um eine Vorstellung zu bekommen, schlug ich eine Bleib-Abruf-Übung mit Yoda vor. Timo setzte Yoda ab und wir entfernten uns von ihm. Mit einem Pfiff aus der Hundepfeife rief Timo Yoda und dieser rannte blitzschnell zu uns. Laut Timo seien seine kleinen Helfer mindestens genauso schnell wie Yoda. Wir verknüpften immer wieder sein entwickeltes Kommando mit dem Pfiff aus der Hundepfeife und der Bleib-Abruf-Übung mit Yoda. Auf meinen Wunsch hin, suchte sich Timo eine eigene Hundepfeife aus, die er nun als Kette um den Hals trägt und ihn zukünftig befähigensoll, auf seinen Mut zuzugreifen, wenn er ihn braucht.

Wirkungskreise: Schaffung von Wohlbefinden, Schaffung eines wertschätzenden Rahmens, Stärkung der Selbstwirksamkeit und des Selbstbewusstseins, Erkennen der eigenen Ressourcen, Hund als Sozialpartner

„Wer sind Sie?“

Sybille hatte durch einen Unfall Symptome einer Demenz entwickelt, die sich erheblich auf ihr Kurzzeitgedächtnis auswirkten. Meine ersten Termine bei Sybille, mit dem Ziel einen Draht zu ihr zu finden, waren ohne Erfolg.  Ich musste mich bei jedem Termin neu vorstellen, da sie sich nicht an mich erinnern konnte, was einen Beziehungsaufbau fast unmöglich machte.  Nicht nur mich frustrierten die ersten Termine, auch Sybille schien freudlos und wusste nichts mit mir anzufangen.

Als ich Bolle das erste Mal mit zu ihr nahm, lernte ich eine ganz neue Seite von Sybille kennen. Sie war lebendig, erzählte, lachte, lud Bolle ein, auf ihrem Bett Platz zu nehmen und umsorgte ihn liebevoll. Ich war sprachlos über Sybilles enorme Veränderung. Beim nächsten Termin begrüßte Sybille Bolle mit den Worten: „Bolle, da bist ja! Ich habe dich schon vermisst.“ Sie konnte sich nach nur einem Termin Bolles Namen merken und richtig zuordnen. Was für ein Erfolg! Mich konnte sie weiterhin nicht mit Namen benennen, aber sie wusste, dass ich zu Bolle gehöre, wodurch auch wir eine Beziehung aufbauen konnten.

In der weiteren Arbeit mit Sybille kam Bolle regelmäßig zum Einsatz. Wir konnten Sybille z.B. motivieren, ihre Wohnung zu verlassen und sich in der Natur zu bewegen und  förderten ihre Gedächtnisleistungen mit dem Erlernen von Kommandos, die Bolle umsetzte. Nicht zu unterschätzen ist die gesteigerte Lebensfreude.

Wirkungskreise: Hund als Türöffner, Förderung der Konzentration und Gedächtnisleistung, Schaffung von Wohlbefinden und Lebensfreude, aktive Teilhabe am öffentlichen Leben

 

„Das kann ich nicht!“

Julia hatte irgendwie ihre Sprache verloren. Nicht falsch verstehen, Julia konnte sprechen, sie tat es einfach nicht. Alles was sie betraf, regelte ihr Lebensgefährte für sie. Als ich nach mehreren Terminen herausfand, dass sie sehr tierlieb ist und Hunden gegenüber offen eingestellt ist, stand fest, Bolle muss sein Glück versuchen. Julia freute sich über Bolle und anders als mir, gelang es Bolle sehr schnell eine Vertrauensbeziehung zu ihr aufzubauen. An vielen Terminen gingen wir gemeinsam spazieren und ich versuchte immer wieder, Julia kleinere Aufgaben zu übertragen, wie z.B. Bolle an der Leine führen, auf andere Passanten Rücksicht nehmen, an den richtigen Stellen loben etc. Julia lehnte dies jedoch immer wieder mit den Worten: “ Das kann ich nicht“, ab.

Rückblickend betrachtet ist bei Julia bei einer scheinbar winzigen Kleinigkeit der Stein ins Rollen gekommen. Wir waren auf einer großen Wiese und ich hatte einen Ball für Bolle dabei. Julia traute sich nicht, den Ball zu werfen, also spielte ich mit Bolle. Ich bestand aber darauf, dass Bolle Julia den Ball in die Hand legte, sie gab den Ball wieder mir zum Werfen. Das ging einige Male so, bis Julia allen Mut zusammen nahm und den Ball warf. Er flog höchstens 2 Meter weit und man konnte Julia ansehen, dass es ihr peinlich war. Bolle war aber mit der selben Begeisterung dabei und forderte sie auf, ein zweites Mal zu werfen. Nach jedem weiteren Wurf taute Julia mehr und mehr auf und sie hatte offensichtlich Spaß an dem gemeinsamen Spiel mit Bolle.

Auch die Kommunikation mit Bolle funktionierte gut. Sie verstanden sich und Bolle mochte Julia gern, was er ihr unmissverständlich zeigte. Wie gut, dass Hunde keine Worte brauchen, um uns zu verstehen. Die weitere Arbeit mit Julia bestand darin, ihr nach und nach alle Verantwortungsbereiche bei gemeinsamen Spaziergängen zu übertragen. Sie traute sich mit der Zeit immer mehr, bis sie irgendwann alles ganz selbstverständlich übernahm und Spaß daran hatte. Ihre Kommunikation mit mir veränderte sich auch merklich. Sie sprach von sich aus Sorgen an und erzählte mir von ihrem Alltag. So konnte ich ganz gezielt mit ihr daran arbeiten, die erlernten Fähigkeiten innerhalb der tiergestützten Settings auch auf andere Bereiche ihres Lebens zu übertragen.

Mit Bolle als Sozialpartner konnte Julia in einem wertschätzenden Rahmen, ohne Scham, sondern mit Spaß ihre Fähigkeiten ausprobieren, festigen und Selbstbewusstsein aufbauen. Was ihr nun wiederum in anderen Situationen aus ihrem Alltag helfen wird.

Wirkungskreise: Hund als Türöffner, Aufbau von Selbstbewusstsein, Förderung der kommunikativen Fähigkeiten, Förderung der motorischen Fähigkeiten, Schaffung von Wohlbefinden, Erleben von Selbstwirksamkeit

 

 

Hunde als emotionale Brücke

Ramona hatte neben ihrer chronischen körperlichen Erkrankung immer wieder mit starken Depressionen zu tun. Meine Aufgaben bestanden darin, Ramona bei der Alltagsbewältigung zu unterstützen, aber sie auch immer wieder psychisch und emotional aufzufangen und zu stärken. Bolle hatte ich von Anfang an immer wieder mit dabei, wenn ich sie besuchte. Sie hatte früher selbst Hunde, sodass Bolle ihr große Freude bereitete. Bolle konnte sie immer wieder zu kleineren Spaziergängen motivieren und wir förderten spielerisch ihre feinmotorischen Fähigkeiten, die auf Grund ihrer körperlichen Erkrankung immer schlechter wurden.

Als Ramona wieder eine Phase von Depressionen durchlitt, halfen alle meine Bemühungen nicht, sie ein bisschen aufzubauen. Ramona verließ über mehrere Wochen ihr Bett nicht, baute körperlich stark ab und wirkte emotional wie versteinert. Selbst als Bolle dabei war, regte sie sich kaum. Als ich Bolle jedoch mit ihrem Einverständnis neben ihr ablegte, fing sie an, ihn zu streicheln. Ich selbst hielt mich im Hintergrund, achtete lediglich darauf, dass es beiden gut ging. Nach gefühlten Stunden fing Ramona zu weinen an. Sie weinte und streichelte Bolle. Nach einem Moment kuschelte sich Bolle noch enger an sie und fing an ihre Tränen von der Wange zu lecken. Dies war ein ganz besonders emotionaler Moment, Ramona brauchte Trost, den Bolle ihr spenden konnte.

Wirkungskreise: Hunde als emotionale Sozialpartner / Trostspender / Brücken

 

Hunde als Übersetzer

Stefan, den ich über viele Jahre betreute litt an einer Persönlichkeitsstörung. Stefan sah immer gleich aus. Er zeigte in seiner Mimik keinerlei Emotionen, sodass ich zu Beginn unserer Termine nie so wirklich wusste wie es ihm ging. Er hatte durchaus längere, stabile Phasen, in denen er aktiv war, aber auch immer wieder psychische Einbrüche, die teils stationär behandelt werden mussten.

Für mich war es schwierig mit ihm zu arbeiten, ohne zu wissen, wie es wirklich in ihm aussah. Bis ich eher zufällig heraus fand, dass Bolle mir deutlich zeigte, wie es Stefan tatsächlich ging. Ich hatte Bolle unregelmäßig bei unseren Terminen dabei und mir ging es am Anfang eher darum, ihn zu Spaziergängen in der Natur zu bewegen. Bis sich Bolle bei einem Termin sehr seltsam und mir völlig unbekannt verhielt. Er hüpfte vor Stefan auf und ab, immer wieder. An diesem Tag ging es Stefan psychisch sehr schlecht. Ich überprüfte meine Theorie mehrmals. Und tatsächlich, in Phasen, in denen es Stefan gut ging, verhielt sich Bolle ganz normal, wenn Stefan psychisch instabil war, zeigte es Bolle an mit einem ständigen Auf- und Abspringen. Dies erleichterte mir meine Arbeit mit Stefan enorm und ich habe Bolles Hüpfen als Gesprächseinstiege genutzt: “ Was meinst du, was Bolle uns sagen möchte? Was müsste sich ändern, damit Bolle nicht mehr hüpft? Wie könnte man daran was ändern?“

Wirkungskreise: Hunde als Übersetzer, Hunde als Türöffner